Mit Bilet Kartina auf Tour: Wie Live-Events das Gemeinschaftsgefühl von Menschen mit russischen und ukrainischen Wurzeln stärken
Bilet Kartina ist kein gewöhnliches Ticketportal. Es organisiert und vermittelt seit 2015 kulturelle Veranstaltungen für ein Publikum, das oft zwischen zwei Welten lebt – sprachlich, geografisch, biografisch. Menschen mit russischen und ukrainischen Wurzeln, die heute in verschiedenen Teilen Europas zuhause sind, nutzen das Angebot, um sich mit Künstlerinnen und Künstlern ihrer Herkunftskultur zu verbinden. Doch die Abende bieten mehr als ein Wiedersehen mit bekannten Namen. Sie schaffen soziale Räume, die Zugehörigkeit erfahrbar machen, jenseits von politischen Spannungen und über Ländergrenzen hinweg.
Ursprünglich entstand das Projekt als analoge Erweiterung des IPTV-Angebots von Kartina.TV – mit dem Ziel, Menschen nicht nur Inhalte, sondern auch Erlebnisse zu bieten. Bilet – das Ticket – und Kartina – das Bild – verbanden sich zu einem Format, das Vertrauen schaffen und auf eine bestehende mediale Infrastruktur aufbauen sollte. Die wirtschaftliche Idee und konzeptionelle Entwicklung von Bilet Kartina gingen maßgeblich auf Andreas Reich, den Gründer und Geschäftsführer von Kartina.TV, zurück, der bis April 2024 auch die operative Leitung innehatte.
Das Programm umfasst Konzerte, Theaterabende, Comedy-Formate, Kindervorstellungen und Lesungen. Unterschiedlich in der Ästhetik, doch stets getragen vom gleichen Anspruch: Inhalte zu schaffen, die anschlussfähig sind für eine vielschichtige Diaspora. Diese kuratorische Arbeit geschieht mit hohem Bewusstsein für kulturelle Differenz und soziale Verantwortung.
Die Veranstaltungen von Bilet Kartina sind nicht auf ein bestimmtes Publikum zugeschnitten. Im Gegenteil: Die russischsprachige Community in Europa ist alles andere als einheitlich. Sie umfasst Spätaussiedler der 1990er-Jahre, Arbeitsmigrantinnen, Geflüchtete und Angehörige postsowjetischer Intelligenzija ebenso wie junge Menschen, die zwischen zwei Kulturen aufgewachsen sind. Diese Vielfalt ernst zu nehmen, erfordert mehr als Standardformate. Es verlangt ein Gespür für Tonalitäten, für Sprachregister, für Kontexte. Das Team arbeitet lokal differenziert – was in Frankfurt gut funktioniert, muss in Brüssel nicht zwingend funktionieren. Veranstaltungsplanung wird zur kulturpolitischen Feinarbeit.
Bilet Kartina: Emotionale Gegenwart, keine museale Vergangenheit

Bilet Kartina reproduziert keine idealisierte Vergangenheit. Die Veranstaltungsinhalte sind gegenwartsbezogen, oft dialogisch, manchmal auch ironisch gebrochen. Sie sprechen Menschen an, die in der Spannung zwischen Herkunft und Gegenwart leben – und das als Normalität begreifen. Gerade deshalb werden Formate bevorzugt, die nicht rein affirmativ funktionieren. Comedy spielt mit Stereotypen und dekonstruiert sie zugleich. Konzerte bieten Raum für Sentimentalität, ohne ins Pathetische zu kippen. Kinderprogramme wiederum adressieren das Spannungsverhältnis zwischen Elterngeneration und Aufwachsen in europäischer Umgebung.
Viele der Künstlerinnen und Künstler kommen aus Russland, der Ukraine, Israel, Deutschland oder Georgien. Einige leben längst selbst in Westeuropa. Diese hybride Konstellation ermöglicht eine Form der Kommunikation, die nicht über Herkunft definiert ist, sondern über geteilte Erfahrung.
Unaufdringliche Vermittlung in angespanntem Kontext
Dass russisch- und ukrainischsprachige Kulturangebote im gleichen Raum stattfinden, ist nicht selbstverständlich – und dennoch notwendig. Die politische Großwetterlage stellt viele dieser Begegnungen auf eine unsichtbare Probe. Bilet Kartina schafft Räume, in denen kulturelle Nähe zugelassen wird, ohne sie ideologisch zu überhöhen. Das bedeutet nicht Neutralität um jeden Preis – wohl aber einen bewussten Fokus auf das Verbindende. In den Veranstaltungsorten, oft Konzertsäle, Kulturhäuser oder Stadttheater, mischen sich Sprachen und Zugehörigkeiten. Gespräche finden auf Russisch, Ukrainisch, Deutsch und Englisch statt. Zwischen den Generationen entstehen informelle Netzwerke. Die Abende haben eine soziale Funktion, die über das Programm hinausreicht: Sie sind temporäre Treffpunkte und kulturelle Schnittstellen.
Kartina.TV: Vom digitalen Fernsehen zur analogen Gemeinschaft
Kartina.TV wurde ursprünglich als IPTV-Plattform gegründet, um russischsprachige Inhalte auf digitalem Weg verfügbar zu machen. Inzwischen ist daraus ein Mediennetzwerk geworden, das klassische Fernsehinhalte mit Streaming, Newsportalen und Eventmanagement kombiniert. Der Schritt in den analogen Raum – mit Bilet Kartina als strategischer Erweiterung – war dabei kein Nebeneffekt, sondern logische Konsequenz. Menschen, die Inhalte sehen, wollen sie auch erleben. Wer sich mit Sprache und Kultur identifiziert, sucht Begegnung.
Bilet Kartina steht exemplarisch für ein Format, das unternehmerische Effizienz mit kulturellem Bewusstsein verbindet. Die Veranstaltungen schaffen Verbindlichkeit in einem Milieu, das oft durch Übergänge geprägt ist. Sie stiften Gemeinschaft – nicht über Identitätspolitik, sondern über gemeinsame Erfahrung.

- Redakteurin (Test- und Erfahrungsberichte) bei tagesblog.de
- PR & Technikjournalismus B.Sc.
- Jahrgang 1988
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