Wie Künstliche Intelligenz die Finanzbranche neu ordnet: Ein Austausch mit Stephan Blohm
Künstliche Intelligenz (KI) verändert Prozesse, Jobprofile und ganze Wertschöpfungsketten mit einer Geschwindigkeit, die selbst erfahrene Akteure herausfordert. Was bedeutet das für die Arbeitswelt im Finanzsektor – und welche Rollen verschwinden, während neue entstehen?
Stephan Blohm, Experte für innovative Strukturen und Konzepte in der Administration von Finanzprodukten und Verwaltungsrat bei securities.lu, beobachtet diese Entwicklungen genau. Mit jahrzehntelanger Erfahrung im Aufbau und in der Steuerung komplexer Finanzstrukturen bringt er eine Perspektive mit, die tiefgehendes operatives Verständnis mit strategischer Weitsicht verbindet.
Herr Blohm, KI ist auf dem besten Weg, zentrale Prozesse in der Finanzbranche zu automatisieren. Welche Stellen werden in den kommenden Jahren am stärksten betroffen sein?
Stephan Blohm: Wir erleben derzeit keinen linearen Wandel, sondern eine disruptive Verschiebung – nicht nur technologisch, sondern auch strukturell und funktional. Besonders betroffen sind wiederkehrende Tätigkeiten mit einem hohen Grad an Standardisierung. Dazu zählen etwa Teile des klassischen Reportings, der regulatorischen Dokumentation, einfache Compliance-Prüfungen oder auch das Buchhaltungswesen. Hier werden Algorithmen zunehmend präziser, schneller und vor allem konsistenter als es Menschen sein könnten.
Aber: Das bedeutet nicht, dass diese Funktionen verschwinden – sie verändern sich. Der Mensch zieht sich aus der operativen Routine zurück und wird stattdessen zum Architekten, zum Kontrolleur und zur ethischen Instanz über die Maschine. Die Rolle verschiebt sich also vom Umsetzer hin zum Entscheider.
Und auf der anderen Seite? Wo entstehen neue Arbeitsplätze?
Stephan Blohm: Überall dort, wo Komplexität, Kontextintelligenz und sektorübergreifendes Denken gefordert sind. Die Nachfrage steigt stark im Bereich KI-Governance, also der verantwortlichen Steuerung und Überwachung von KI-gestützten Systemen. Hinzu kommen strategische Rollen in der Datenarchitektur, Prozessgestaltung und Schnittstellen-Integration – insbesondere im Zusammenspiel zwischen menschlichem Urteilsvermögen und maschineller Effizienz.
Ein besonders dynamisches Feld ist das „AI Product Management“ im Finanzkontext. Hier geht es darum, komplexe regulatorische Anforderungen, technologische Möglichkeiten und die Perspektive der Investoren in ein nutzbares, regelkonformes Produktdesign zu überführen. Das erfordert interdisziplinäre Expertise, die schwer automatisierbar ist – zumindest nicht in absehbarer Zeit.
Inwiefern betrifft dieser Wandel auch die Struktur von Finanzdienstleistungsunternehmen?
Stephan Blohm: Fundamental. Die klassische vertikale Wertschöpfung mit vielen internen Silos wird zunehmend durch modulare, digital orchestrierte Netzwerke ersetzt. Spezialisten bündeln ihre Kompetenzen über Plattformlösungen, die skalierbar, revisionssicher und technologisch integriert arbeiten. securities.lu ist hierfür ein geeignetes Beispiel: Wir übernehmen als zentraler Backoffice-Spezialist administrative Kernaufgaben im Rahmen von Verbriefungen – hochstandardisiert, aber auf individuelle Anforderungen zugeschnitten.
Diese Form der Spezialisierung ist kein Nebenprodukt, sondern die Antwort auf eine Branche, die sich im Umbruch befindet. In einem solchen Umfeld braucht es verlässliche Schnittstellenpartner, die sowohl rechtssicher als auch technologisch hochentwickelt operieren – und genau hier liegt die Stärke von securities.lu.
Sie haben gerade securities.lu als Plattform hervorgehoben. Welche Rolle spielen solche Infrastrukturen im neuen KI-Zeitalter?
Stephan Blohm: Eine sehr zentrale. Denn während sich Frontoffice-Prozesse vielfach in Richtung Automatisierung bewegen, steigt im Backoffice der Anspruch an dokumentierte Nachvollziehbarkeit, regulatorische Detailtiefe und revisionssichere Abwicklung. securities.lu übernimmt nicht einfach nur Aufgaben, sondern organisiert den Lebenszyklus von Verbriefung über alle Phasen hinweg – in engem Zusammenspiel mit Service-Gesellschaften und unter Einhaltung komplexer juristischer Rahmenbedingungen. Was sich hier zeigt, ist eine klare Tendenz: Je höher der Digitalisierungsgrad, desto mehr gewinnt der Gedanke an funktionale Plattformen, die nicht nur Prozesse abbilden, sondern auch steuerbar, transparent und skalierbar sind. KI kann dies unterstützen, aber nicht ersetzen – denn es geht auch um Vertrauen.
Wird Künstliche Intelligenz künftig auch strategische Entscheidungen treffen können?
Stephan Blohm: Nur in engen Rahmen. KI kann auf Basis von Wahrscheinlichkeiten operieren, aber sie kennt keine Verantwortung, kein Bauchgefühl und keine ethische Urteilskraft. In der Vermögensverwaltung etwa kann KI hervorragende Analysen liefern, aber die finale Entscheidung, ob man bei einem illiquiden Asset einsteigen will, liegt – und wird auch weiterhin liegen – beim Menschen.
Gerade in der Strukturierung von Finanzinstrumenten, etwa im Rahmen von maßgeschneiderten Compartments, bleibt die menschliche Expertise unersetzlich. Wer etwa institutionelle Anforderungen, steuerliche Implikationen und regulatorische Besonderheiten aufeinander abstimmt, benötigt ein Maß an Urteilskraft, das keine Maschine replizieren kann.
Welche Kompetenzen müssen Finanzexperten Ihrer Meinung nach in Zukunft mitbringen?
Stephan Blohm: Zunächst ein tiefes Verständnis für Systemzusammenhänge – und zwar jenseits der eigenen Disziplin. Wer nur seine eigene Abteilung versteht, wird in einer zunehmend vernetzten Wertschöpfungsstruktur schnell zum Relikt. Zweitens: Adaptionsfähigkeit. Die Halbwertszeit von Methoden und Technologien sinkt rapide. Lebenslanges Lernen ist keine Option mehr, sondern Voraussetzung. Und drittens – und das wird oft unterschätzt – die Fähigkeit, Technologie sinnvoll einzuordnen. Nicht alles, was digitalisierbar ist, sollte auch digitalisiert werden. Verantwortungsbewusstsein, Urteilskraft und Risikoverständnis sind Eigenschaften, die in der neuen Welt nicht ersetzt, sondern aufgewertet werden.
Abschließend gefragt: Wird die KI in der Finanzbranche mehr Arbeitsplätze vernichten oder schaffen?
Stephan Blohm: Wenn wir Technologie nicht als Ersatz, sondern als Erweiterung menschlicher Fähigkeiten begreifen, dann wird sie mehr neue Arbeitsfelder erschließen, als sie ersetzt. Entscheidend ist, ob wir es schaffen, Bildung, Unternehmenskultur und Infrastruktur so aufeinander abzustimmen, dass dieser Wandel aktiv gestaltet wird – statt ihm nur hinterherzulaufen.
Vielen Dank, Stephan Blohm!
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- Jahrgang 1976
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