Eine zweite Chance für die gescheiterte Corona-Impfpflicht?

Die seit Monaten kontrovers und vieldiskutierte Corona-Impfpflicht für alle Bürgerinnen und Bürger ab 60 Jahren sowie verpflichtende Beratungen für alle noch ungeimpften Personen ist Anfang April 2022 im Bundestag gescheitert. Nach der Ankündigung von Bundeskanzler Olaf Scholz im November 2021 sollte diese ursprünglich bis spätestens Anfang März 2022 durchgesetzt werden. Doch nach einer erfolglosen Suche nach Kompromissen auf nahezu allen Seiten stimmten bei der bedeutenden Entscheidung 378 Abgeordnete des Bundestages gegen die Impfplicht. Die Zahl der Befürworter lag mit 296 wesentlich niedriger als ursprünglich erwartet.

Die Corona-Impfpflicht scheitert an fehlender Einigkeit und Kompromissbereitschaft

Die Gründe für das Scheitern der Impfpflicht sind vielfältig. Zahlreiche Diskussionsrunden führten letztlich zu keinen klar abgesteckten Zielen; fehlende Kompromissbereitschaft und verwässerte Verhandlungen zeigten schon im Vorfeld deutlich, dass die Abstimmung unter keinem guten Stern stand. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek betont, dass es grundsätzlich eine Mehrheit für die Impfpflicht gegeben hätte – nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch unter den Abgeordneten. Doch die bekannten Machtspiele zwischen der Ampelkoalition der Bundesregierung und der Opposition, allen voran der CDU unter Friedrich Merz, haben am Ende ein Scheitern zugelassen – selbst die Ministerpräsidenten von CDU / CSU, welche sich klar für eine Impfpflicht ausgesprochen hatten, konnten die Abgeordneten ihrer Partei nicht von einem Nein abbringen.

Im Angesicht des kritischen Zustands des deutschen Gesundheitssystems, der Abschaffung der allgemeinen Maskenpflicht, einer neuen drohenden Corona-Welle ab September oder Oktober 2022 und der Unvorhersehbarkeit weiterer Mutanten wie etwa der gefährlichen Delta-Variante ist die Lage in Deutschland weiterhin heikel und kaum berechenbar. Auch der bayrische Gesundheitsminister sieht noch Chancen, eine angepasste Impfpflicht zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal ins Gespräch oder gar bis zur Abstimmung im Bundestag zu bringen. Andere Abgeordnete und Persönlichkeiten des politischen Geschehens haben daran allerdings kein Interesse oder sehen darin, unter anderem aufgrund der momentan wieder sinkenden Inzidenzzahlen, keine medizinische Notwendigkeit. Im Gegensatz zu Gesundheitsminister Karl Lauterbach scheint Bundeskanzler Scholz die Diskussion um eine Impfpflicht nun allerdings endgültig zu den Akten legen zu wollen.

Auch Experten wie etwa Christian Karagiannidis, unter anderem wissenschaftlicher Leiter des DIVI-Intensivregisters und Teil des Corona-Expertenrats der Bundesregierung, halten einen neuen Anlauf für sinnfrei. Zwar habe er sich ein anderes Ergebnis gewünscht, ziehe es aber vor, die demokratische Entscheidung zu akzeptieren und sich stattdessen lieber auf den kommenden Herbst vorzubereiten, besonders in Hinblick auf das ohnehin schon strapazierte Gesundheitssystem Deutschlands und den Personalmangel in den Kliniken. Auch eine zumindest temporäre Rückkehr der Maskenpflicht mag Karagiannidis nicht ausschließen, da er, nachdem es in den vergangenen zwei Jahren keine Grippewelle gab, im Herbst 2022 einen parallelen Ausbruch mehrerer Infektionskrankheiten befürchtet.

Viel Arbeit für die deutschen Gerichte

Auch die im Dezember 2021 von Bundestag und Bundesrat beschlossene Impfpflicht für das Pflegepersonal, etwa in Krankenhäusern oder Seniorenheimen, könnte nun wieder debattiert werden. Nach Ankündigung der Pflicht, nach welcher betroffene Pflegekräfte sich bis zum 15. März 2022 als vollständig geimpft oder kürzlich genesen ausweisen mussten, gingen allein bis zum Februar mehr als 70 Verfassungsbeschwerden, mehr als 60 davon per Eilantrag, beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein.

Doch auch die untergeordneten Gerichte sind von der Impfpflicht für Pflegekräfte betroffen. So entschied etwa das Arbeitsgericht Gießen am 12. April 2022 in einem Eilverfahren, dass etwa Pflegeheime Beschäftigte ohne weitere Lohnfortzahlung freistellen können, wenn diese nicht fähig oder willens sind, einen rechtzeitigen Nachweis über die erfolgte Corona-Impfung vorzulegen. Zwei ungeimpfte Beschäftigte eines Seniorenheims in Hessen hatten in einem Eilverfahren gegen ihre Freistellung geklagt und wollten damit eine vertragsgemäße Beschäftigung sowie Bezahlung durchsetzen.

Da die Hauptverfahren allerdings noch in Gange sind und eine Berufung ebenfalls möglich ist, kann es sein, dass auch dieser Fall am Ende zu einer Verfassungsklage vor dem Bundesverfassungsgericht führt

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