Ukraine-Krieg: das Ende nachhaltiger Investmentstrategien?
Der Überfall Russlands auf sein Nachbarland Ukraine hat auch auf dem Kapitalmarkt das Unterste zuoberst gekehrt. Mit einem Mal scheinen alle guten Absichten in Bezug auf nachhaltiges Investieren nur noch Makulatur zu sein. Im Mittelpunkt des Interesses stehen wieder Werte, die Fondsmanagern ESG-konformer Anlageprodukte den Angstschweiß auf die Stirn treiben. Wer aber angesichts der aktuellen Situation einen endgültigen Abschied vom grünen Investmenttraum prognostiziert, schätzt die Lage völlig falsch ein.
Ein Blick auf das aktuelle Geschehen lässt zwangsläufig die Erinnerung an längst vergangen geglaubte Zeiten wieder aufleben. Alleine schon der Gedanke an einen Krieg auf europäischem Boden ist nur schwer zu ertragen. Damit verbunden ist die Rückkehr zu Verhaltensmustern aus den Zeiten des kalten Kriegs – und leider auch aus der Schreckenszeit davor. Es darf nicht verwundern, dass viele Menschen – ob normale Bürger oder Investoren – eine Art Zeitenwende heraufdämmern sehen. Gerade deshalb ist der ruhige und objektive Blick auf das Gesamtgeschehen von grundsätzlicher Bedeutung.
Alter Wein in neuen Schläuchen
Mit einem Mal stehen wieder Branchen und Unternehmen im Mittelpunkt des Anlegerinteresses, die angesichts des Booms der ESG-Produkte längst abgeschrieben schienen. Allen voran die vier apokalyptischen Reiter der fossilen Klimakatastrophe: Exxon Mobil, Chevron, Total und Eni. Sie alle verzeichnen angesichts drohender Energieengpässe massive Kurszuwächse.
Die Rückkehr der dunklen Seite der Macht ist nicht alleine auf das Verhalten der Privatwirtschaft zurückzuführen. Auch Regierungen mischen bei der Renaissance der umweltschädlichen Energieträger kräftig mit. So hat jüngst Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck – immerhin Parteimitglied der Grünen – flüssiges Erdgas im Wert von 1,5 Milliarden Euro geordert, um die dünnen Energiereserven der Republik aufzustocken.
Und auch die zweite Gruppe der Kriegsprofiteure ist zurück, und das mit aller Macht: Die Aktien der Rüstungskonzerne verzeichnen explosionsartige Steigerungsraten. Auch hier geht der Staat mit fragwürdigem Beispiel voran: Dass Bundeskanzler Olaf Scholz ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro bereitstellt, um damit die zugegebenermaßen marode Infrastruktur der Bundeswehr aufzubessern, mag politisch gesehen Sinn machen. Als Signal hin zu nachhaltigen Anlagestrategien taugt ein derartiger Schritt allerdings nicht.
Abschied von ESG: Endgültiger Trend oder Momentaufnahme?
Der Sirenengesang vom Untergang der nachhaltigen Investmentstrategien, wie er derzeit von einigen Anlageexperten und Analysten zu vernehmen ist, dürfte allerdings zu früh eingesetzt haben. Dass der an Schubkraft ständig zunehmende Trend hin zu ESG-Investments durch die Kriegsereignisse unvermittelt stark an Fahrt verloren hat, ist verständlich: Schließlich ist die Energiewende noch nicht vollzogen, und die Vollversorgung mit den dringend benötigten Energiequellen alleine aus alternativen Technologien steht noch auf wackligen Füßen.
Dennoch sollte niemand aus den Augen verlieren: Krieg stellt einen Ausnahmezustand dar. Ist er überwunden, steht der Wiederherstellung früherer Verhältnisse nichts im Weg. Im Gegenteil: Die gemachten Erfahrungen, insbesondere angesichts der schmerzhaften Abhängigkeit von unsicheren Kantonisten bei den Lieferländern für fossile Energien, dürften dem Trend hin zum zügigen Ausbau nachhaltiger Energien neuen Antrieb verleihen.
Mittlerweile hat der ESG-Markt fast schon systemrelevante Dimensionen angenommen. Mit anderen Worten: Der Bereich der nachhaltigen Investments ist bereits too big to fail. Die Erkenntnis, dass die globale Erwärmung nach dem Ukraine-Krieg noch ebenso akut ist wie zuvor, wird die Rückkehr zu grünen Anlageformen rasch wieder auf die zuvor eingeschlagene Richtung zwingen.
Unverändert bestehen bleiben auch die grundsätzlichen Systemvorteile von ESG-Anlagen: neben der guten und stabilen Rendite der Zugewinn an Klimaverträglichkeit und sozialer Qualität. Auch die Vorgaben der internationalen Klimaziele haben nach der Ukraine-Krise die gleiche Gültigkeit, die sie schon bei ihrer Festlegung hatten. Kein Grund also, an der Zukunft nachhaltiger Anlageformen zu zweifeln.
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